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Wenn Gene wandern: Transposons

Grundlagen der Genetik

5. Januar 2020

Ist dir das auch schon mal passiert? Du schreibst einen längeren Text am Computer, unbemerkt setzt du während des Tippens den Cursor in einen bereits geschriebenen Textabschnitt und die nachfolgend getippten Wörter ruinieren jetzt den gesamten Absatz. Ungefähr so ergeht es der Zelle mit beweglichen genetischen Elementen, sogenannten Transposons, umgangssprachlich „springende Gene“ genannt.

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Das Erbgut einer Zelle ist gut verpackt und aufgewickelt, damit es in den wenige Mikrometer großen Zellkern passt. Würde man den DNA-Faden abwickeln und ausbreiten, hätte man es mit einem 2 Meter langen Molekül zu tun [1]. Menschliche DNA ist über 3 Milliarden Nucleotidpaare, also Buchstaben, lang und beinhaltet die Information für ungefähr 25.000 Gene [2]. Nun könnte man annehmen, dass die Gene innerhalb des Erbguts in einer festen, unveränderlichen Reihenfolge angeordnet sind. Nur so wäre die Zelle in der Lage, alle wichtigen Gene zeitlebens gleichmäßig abzulesen. Für viele Gene, nämlich die, die Informationen für die Herstellung von Proteinen enthalten, ist das auch der Fall. Ein erheblicher Teil des Erbguts besteht jedoch aus DNA-Sequenzen, die in der Lage sind, ihre Position innerhalb des Genoms zu verändern. Die meisten können sich dabei sogar selbständig vermehren, ein Prozess, der Selbstreplikation genannt wird; das heißt, die Vervielfältigung ihrer DNA-Sequenz ist unabhängig von der Verdopplung des Erbguts.


Bewegliche genetische Elemente: Gene auf Reisen


Die DNA ist das Molekül, das die Informationen für die Herstellung aller Proteine der Zelle beinhaltet. Die Überraschung war daher sehr groß, als 2001 die vollständige Sequenz der menschlichen DNA vorlag und offenbarte, wie wenig von ihr für Proteine codiert. Lediglich etwas über 20% des menschlichen Genoms wird von Genen in Anspruch genommen und auf die Exonen, die die Informationen für die Herstellung von Proteinen enthalten, entfallen gerade einmal 2% des Genoms [2]. Woraus setzen sich die restlichen 80% des Genoms zusammen?

Ein erheblicher Teil der DNA, nämlich fast 30%, besteht aus DNA Sequenzen, die zwar einmalig im Erbgut vorkommen, sogenannte nicht-repetitive DNA, aber kein Bestandteil von Genen sind.

Fast die Hälfte des menschlichen Erbguts, etwa 45%, besteht aus beweglichen genetischen Elementen, den Transposons, umgangssprachlich als „springende Gene“ bezeichnet. Diese kurzen, beweglichen DNA-Stücke haben sich im Laufe der Evolution schrittweise selbst in das Genom eingebaut. Transposons können ihre Nucleotidsequenz von einer Stelle im Genom an eine andere verschieben, ein Vorgang der als Transposition bezeichnet wird. Die Länge der beweglichen Elemente variiert zwischen wenigen hundert und mehreren zehntausend Nucleotidpaaren, die jeweils einen einzigartigen Gensatz aufweisen  [2].  In den meisten Fällen enthalten Transposons Gene, die für Enzyme codieren, die die Bewegung des Transposons ermöglichen. Die Sequenz dieser Gene hat sich aufgrund zufälliger Mutationen im Laufe der Zeit in vielen Transposons so verändert, dass die Fähigkeit zur selbständigen Bewegung verloren gegangen ist. Nur einige wenige Kopien der beweglichen genetischen Elemente sind also noch aktiv und wirklich in der Lage, sich innerhalb des Genoms zu bewegen. Viele mutierte Transposons sind zum „Springen“ auf die funktionierenden Enzyme der aktiven, nicht mutierten Transposons angewiesen.

Inhalt der Nucleotidsequenz des menschlichen Genoms

Darstellung des Inhalts der Nucleotidsequenz des menschlichen Genoms. LINEs, SINEs, retrovirusartige Elemente und DNA-Transpsosns sind bewegliche genetische Elemente, die sich im menschlichen Genom durch Selbstreplikation und Einfügen ihrer Kopien an anderen Stellen vervielfacht haben. (Abbildung basiert auf [2])

Transposons, deren Sequenz auf eine Weise mutiert ist, die das „Springen“ vollends unmöglich macht, werden als molekulare Fossilien bezeichnet und geben entscheidende Hinweise auf die menschliche Entwicklungsgeschichte. Aufgrund der „springenden Gene“ unterscheidet sich das Erbgut zweier Menschen im Durchschnitt um etwa 1000 eingefügte Transposons, womit Transposons zur genetischen Variabilität der Bevölkerung beitragen [3].

Wie funktionieren Transposons?

Transposons

Transposons werden in zwei Klassen unterteilt, abhängig vom verwendeten Mechanismus (siehe Text). RT = Reverse Transcriptase; LTR = long terminal repeats, lange terminale Wiederholungen; LINE = Long Interspersed Nuclear Element; SINE = Short Interspersed Nuclear Element.

Es gibt zwei Möglichkeiten, wie Gene innerhalb des Erbguts „springen“ können. Die erste ist eine „Copy & Paste“ Methode, bei der das ursprüngliche Gen zunächst kopiert und anschließend an anderer Stelle zusätzlich eingefügt wird. Hierbei „springt“ das ursprüngliche Gen also im Grunde genommen gar nicht, sondern es verdoppelt sich und diese Kopie wird an anderer Stelle im Erbgut wieder eingefügt. Das ursprüngliche Transposon ist also immer noch an der alten Position vorhanden.

Die zweite Möglichkeit ist die „Cut & Paste“ Methode, bei der das Gen an seiner ursprünglichen Stelle im Erbgut ausgeschnitten und an anderer Stelle wieder eingefügt wird. Hierbei bewegt sich das Gen also wirklich im Genom und verlässt seine ursprüngliche Position im Erbgut.

Klasse I: "Copy & Paste"

Klasse I Transposons, auch Retrotransposons genannt, nutzen die „Copy & Paste“ Methode, um sich im Genom zu verbreiten. Hierbei wird die DNA des Transposons zunächst wie bei der Transkription in eine RNA umgeschrieben, die als Zwischenstufe dient. Anschließend werden Gene, die sich auf der RNA-Zwischenstufe befinden, translatiert, also in eine Aminosäuresequenz übersetzt (Erklärung und Grafik zur Proteinbiosynthese gibt es im Artikel „RNA-Spray als Alternative zu Pestiziden“).  Das entstandene Protein ist eine Reverse Transcriptase, ein Enzym das in der Lage ist aus RNA wieder doppelsträngige DNA zu bilden. Und genau das geschieht jetzt. Die frisch erzeugte Reverse Transcriptase schreibt die RNA-Zwischenstufe des Transposons wieder in eine DNA um. Mithilfe des Enzyms Integrase, welches ebenfalls auf der RNA-Zwischenstufe codiert ist, kann die DNA jetzt an anderer Stelle im Erbgut wieder eingefügt werden. Der gerade beschriebene Vorgang bezieht sich jedoch nur auf Retrovirusartige Retrotransposons oder auch LTR-Retrotransposons genannt. Ein Großteil des menschlichen Genoms besteht aus nichtretroviralen Retrotransposons, auch als Retroposons bezeichnet.  Zu ihnen gehören die LINE und SINE (Long bzw. Short Interspersed Nuclear Element) Sequenzen, welche die am häufigsten vorkommenden beweglichen genetischen Elemente sind. Retroposons nutzen einen anderen Mechanismus zum „Springen“. Auch bei ihnen wird als erstes die DNA des Transposons in eine RNA-Zwischenstufe umgeschrieben. Retroposons codieren ebenfalls für eine Reverse Transcriptase; statt einer Integrase codieren sie jedoch zusätzlich für eine Endonuclease, also eine Genschere. Als erstes werden die von der RNA codierten Reverse Transcriptase und Endonuclease gebildet. Anschließend schneidet die Endonuclease am Zielort in den DNA Doppelstrang des Erbguts und spaltet auf diese Weise einen der beiden DNA Stränge auf. An den gespaltenen Strang bindet die RNA-Zwischenstufe des Transposons und wird von der Reversen Transcriptase in einen DNA Doppelstrang umgeschrieben. Die DNA fügt sich anschließend an der Stelle, an der die anfängliche Spaltung stattgefunden hat, in das Erbgut ein.

Klasse II: "Cut & Paste" 

Klasse II Transposons werden als DNA-Transposons bezeichnet und nutzen für ihre Verbreitung einen „Cut & Paste“ Mechanismus. Ihr Name rührt daher, dass sie im Gegensatz zu den Retrotransposons keine RNA-Zwischenstufe für die Transposition ausbilden. Stattdessen wird die DNA-Sequenz des DNA-Transposons an der ursprünglichen Stelle im Erbgut ausgeschnitten und an einer anderen Stelle wieder eingesetzt. Das bedeutet, dass das „Springen“ von DNA-Transposons nicht zu einer Vervielfältigung der Transposon-Sequenz führt, wie es bei den Retrotransposons der Fall ist. Dies spiegelt sich auch darin wieder, dass DNA-Transposons nur etwa 2% des menschlichen Genoms ausmachen, während Retrotransposons 43% des Erbguts abdecken. Zum „Springen“ verwenden DNA-Transposons das Enzym Transposase, für welches sie selbst codieren. Das Transposase-Gen wird abgelesen und das Enzym Transposase hergestellt. Zwei Transposase-Enzyme erkennen und binden an die jeweiligen Enden der Transposon-Sequenz im Genom. Anschließend fügen sich die beiden Transposase-Enzyme zu einem Komplex zusammen, wobei sie die gebundene DNA-Sequenz des Transposons zu einer Schleife verformen. Der Transposase-Enzymkomplex schneidet dann den DNA-Doppelstrang, sodass sich das von den Enzymen eingeschlossene Transposon vom Rest der DNA löst. Die Transposase-Enzyme fügen die Transposon-DNA an anderer Stelle im Genom über einen erneuten Schnitt des DNA-Doppelstrangs wieder ein. Der von der Transposase ausgeführte Schnitt durch den DNA-Doppelstrang verläuft nicht gerade, sodass auf einem DNA-Strang ein paar Basenpaare über das Ende hinausragen (sogenannte Klebeenden oder Sticky Ends). Nach dem Einfügen der Transposon-DNA werden die dadurch entstandenen Lücken im DNA-Doppelstrang mit Nucleotiden aufgefüllt, wodurch kurze Duplikationen der DNA-Sequenz entstehen (target site duplication). Die Duplikationen bleiben selbst dann bestehen, wenn das DNA-Transposon irgendwann „weiterspringen“ sollte. Das bedeutet, dass jedes „Springen“ von DNA-Transposons Spuren hinterlässt und die ursprüngliche DNA-Sequenz leicht verändert.

Die Mechanismen, mit denen sich Transposons im Genom bewegen:

LTR-Retrotransposons werden in eine RNA-Zwischenstufe umgeschrieben und codieren für die Enzyme Reverse Transcriptase (RT) und Integrase. RT schreibt die RNA-Zwischenstufe in eine doppelsträngige DNA um. Integrase schneidet die Enden der Transposon-DNA und vermittelt das Einfügen der Transposon-Sequenz in die Ziel-DNA. Durch den Vorgang entstehen zunächst Lücken in der Zielsequenz, die mit Nucleotiden aufgefüllt werden. Dadurch kommt es zu kurzen Wiederholungen der DNA-Zielsequenz (target site duplication).

Retroposons werden ebenfalls in eine RNA-Zwischenstufe umgeschrieben, codieren jedoch für eine RT und eine Endonuclease. Entscheidend bei dieser Klasse von Transposons sind die Adenosine am Ende ihrer DNA bzw. RNA-Seuqenz. Die Endonuclease schneidet zunächst einen Strang der Ziel-DNA. Dann schreibt die RT die RNA-Zwischenstufe in eine doppelsträngige DNA um, die dann an der Schnittstelle in der Ziel-DNA eingefügt wird.

DNA-Transposons codieren für das Enzym Transposase, welches die DNA-Sequenz des Transposons ausschneidet und an anderer Stelle im Genom wieder einfügt. Ein Umschreiben in eine RNA-Zwischenstufe findet hierbei nicht statt. Auch bei DNA-Transposons entstehen kurze Wiederholungen der DNA-Zielsequenz beim Einfügen in die Ziel-DNA.

Wieso haben sich Transposons entwickelt?


Aus rein biologischer Sicht, ist der Sinn des Lebens, seine Gene möglichst zahlreich an die nachfolgende Generation weiterzugeben und auf diese Weise das eigene Erbgut auch nach dem Tod auf dem Planeten zu verbreiten. Ziel ist also die Fortpflanzung. Dieses Ziel wird aber nicht nur auf der Ebene des Organismus verfolgt, sondern auch bereits auf der Ebene des Erbguts. Jedes Gen ist bestrebt, Kopien von sich selbst möglichst zahlreich zu verbreiten. Genau das ist es, was Transposons tun. Deswegen werden Transposons zu eigennütziger DNA gezählt. Auf den ersten Blick haben Transposons für den Organismus, in dessen Erbgut sie sich befinden, keine Vorteile. Stattdessen breiten sie sich insbesondere durch ihre eigenständige Vermehrung im Erbgut aus und vervielfältigen sich auf diese Weise im Organismus und später auch in dessen Nachkommen.

Evolutionsbiologe Richard Dawkins fasst dies in seinem Klassiker „Das egoistische Gen“ wie folgt zusammen:


Es zeigt sich beispielsweise, dass die DNA-Menge in den Organismen größer ist, als für deren Konstruktion unbedingt erforderlich wäre: ein großer Teil der DNA wird niemals in Eiweiß umgesetzt. Vom Standpunkt des individuellen Organismus aus betrachtet, scheint dies widersinnig zu sein. Wenn der „Zweck“ der DNA der ist, den Bau von Körpern zu beaufsichtigen, so ist es überraschend, eine große Menge von DNA zu finden, die nichts dergleichen tut. Die Biologen zermartern sich den Kopf darüber, welche nützliche Aufgabe diese offenbar überflüssige DNA erfüllt. Vom Blickpunkt der egoistischen Gene selbst gesehen, gibt es jedoch keinen Widerspruch. Der wirkliche „Zweck“ der DNA ist es, zu überleben – nicht mehr und nicht weniger. Die überflüssige DNA erklärt man am einfachsten, wenn man annimmt, dass sie ein Parasit oder bestenfalls ein harmloser, wenn auch nutzloser Passagier ist, der sich in der von der restlichen DNA geschaffenen Überlebensmaschine mitnehmen lässt.“ [Dawkins, 2010, S. 99; 4]


Für die Zelle ist es natürlich nicht von Vorteil, wenn die Hälfte ihrer DNA aus „springenden Genen“ besteht, die sich unkontrolliert im Erbgut bewegen und an den unterschiedlichsten Stellen neu einfügen. Es ist daher nicht überraschend, dass Transposons überwiegend in Regionen des Genoms vorkommen, die für die Funktion der Zelle nicht von Bedeutung sind. Dahinter verbirgt sich folgender Mechanismus: würden Transposons in Gene „springen“, die für das Überleben der Zelle wichtig sind, so wären diese Gene nicht mehr in ein Protein übersetzbar, denn mitten in der Gensequenz liegen jetzt die Nucleotide des Transposons. Somit wären überlebenswichtige Gene der Zelle zerstört. Die Folge wäre, dass die Zelle entweder abstirbt und somit auch ihr Genom ausgelöscht wird oder sie zumindest Nachteile gegenüber anderen Zellen hat, die leistungsstärker sind. Das Transposon hätte davon ausschließlich Nachteile, da es sein eigenes Fortbestehen im Sinn hat. Die Zelle hätte einen evolutionären Nachteil, da sie sich verglichen mit anderen Zellen weniger oft teilen und ausbreiten kann. Der evolutionäre Druck wirkt also so auf die Zelle und das Genom, dass sich Transposons vor allem in Bereichen des Genoms anhäufen, die für das Überleben der Zelle nicht wichtig sind. Sie sind also nicht gleichmäßig im Erbgut verteilt, sondern vor allem in Introns und anderen DNA-Regionen, die nicht für Proteine codieren.

Um das Überleben der Zelle zu sichern, fügen sich Transposons in nicht überlebenswichtige Abschnitte des Erbguts ein. Zusätzlich enthalten viele Transposons Gene, die ihre Transposition negativ regulieren und somit eine zu starke Vermehrung und Ausbreitung verhindern [3]. Doch auch die Zelle wirkt aktiv einer Vermehrung der Transposons entgegen. Da Transposons in der Lage sind, sich selbständig zu vermehren, vergrößern sie mit jeder Kopie das Genom der Zelle. Will sich die Zelle teilen, muss sie unweigerlich ihr gesamtes Genom verdoppeln; ein Prozess, der energieaufwändig ist und ungefähr 2% des zellulären Energiehaushalts in Anspruch nimmt [5]. Sehr viel aufwändiger ist die Expression der Gene. Je mehr Transposons im Erbgut der Zelle vorliegen und in Proteine übersetzt werden, desto mehr Energie kostet das die Zelle, die sie folglich nicht für die Bildung anderer Proteine verwenden kann. Im Durchschnitt benötigt die Expression eines Gens 0,017% des Energiehaushalts der Zelle, sodass immerhin 75% der zellulären Gesamtenergie allein für die Herstellung von Proteinen verwendet wird [5]. Je größer das Genom, desto mehr Energie wird benötigt, es zu verdoppeln und die codierten Proteine herzustellen. In der Folge besitzen Zellen mit kleinerem Genom einen evolutionären Vorteil, da sie sich nicht nur schneller verdoppeln können, sondern ihre Energie auch auf die Herstellung der nötigsten Proteine aufwenden können.

Um der ständigen Vergrößerung des Genoms durch die Ausbreitung von Transposons entgegen zu wirken, kann die Zelle entweder versuchen, die DNA der Transposons aus ihrem Genom zu löschen, ein Prozess, der nicht sehr präzise ist, oder die Anhäufung weiterer Transposons einschränken. Dafür nutzt die Zelle verschiedene Mechanismen, wie z. B. den der RNA-Interferenz (RNAi), der im Artikel „RNA-Spray als Alternative zu Pestiziden“ bereits erklärt worden ist. Außerdem können die Transposon-enthaltenden DNA-Abschnitte so modifiziert werden, dass sie nicht mehr oder nicht sehr häufig abgelesen werden und somit die in der Transposon-Sequenz enthaltenen und für das „Springen“ wichtigen Gene nicht mehr in Proteine übersetzt werden [3].

Haben Transposons wirklich keinen Nutzen für die Zelle?


Das zufällige Einfügen von Transposons im Erbgut der Zelle kann oft Krankheiten im Organismus auslösen [6]. Auch im Menschen wurden Transposons gefunden, die durch ein Einfügen in wichtigen Genen Krankheiten verursacht haben. Des Weiteren können aktive Transposons das Wachstum und die Ausbreitung von Tumoren verstärken, sie können die DNA der Zelle destabilisieren und die Anhäufung von Transposon-RNA-Zwischenstufen kann Entzündungen und Autoimmunkrankheiten auslösen [3]. Das klingt nicht so, als wäre die Anwesenheit von Transposons in der Zelle erwünscht. Es gibt aber auch gute Gründe, Transposons in der Zelle zu behalten.

Manche Gene, die sich auf Transposons befinden, wurden von der Zelle sozusagen domestiziert und im Erbgut der Zelle für andere Zwecke eingebunden. Beispielsweise sind ursprüngliche Transposon-Gene für das Immunsystem der Wirbeltiere entscheidend und ermöglichen durch planmäßige Veränderung von DNA-Abschnitten die Variabilität der gebildeten Antikörper. Die dafür zuständigen Gene, Rag1 und Rag2, wurden von einem DNA-Transposon vor 500 Millionen Jahren übernommen [3].

Nicht alle „springenden“ Transposons verursachen Krankheiten oder belasten die Stabilität des zellulären Genoms. Transposons sind vielmehr eine treibende Kraft in der Evolution des Erbguts, indem sie nicht nur durch ihr „Springen“, sondern auch durch die Verlagerung von Chromosomensegmenten, die Neuanordnung von Exonen oder die Reparatur von DNA-Doppelstrangbrüchen die genetische Variabilität erhöhen [7]. Beispielsweise erzeugt die neue Kombination von Exonen neue Genprodukte und ist daher wichtig für die Evolution [8]. Manche Transposons regulieren unmittelbar die Expression anderer Gene und sind unentbehrlich für die Zelle [3]. Dadurch, dass Transposons die genetische Variabilität erhöhen und somit zu neuen Genprodukten oder veränderter Genaktivität führen können, werden sie bei Umweltveränderungen und umweltbedingtem Stress besonders häufig aktiviert und ermöglichen eine schnellere Anpassung des Organismus an die neuen Umweltbedingungen [9].


Die Eigenschaft von Transposons, die genetische Variabilität zu erhöhen, sowie die Fähigkeit des Genoms, die Aktivität der Transposons weitestgehend zu unterdrücken, führt zu einem Gleichgewicht, das „springende Gene“ zu wichtigen Faktoren der Evolution und Genregulation in allen Organismen macht, die diese Sequenzen besitzen [7].

Quellen


 

  1. Prof. Dr. rer. nat. Thomas Jüstel. Downloadportal FH Münster. Quelle:  https://www.fh-muenster.de/ciw/downloads/personal/juestel/juestel/DNA.pdf. Zuletzt aufgerufen am 04.01.2020.
  2. Alberts, B., Johnson, A., Lewis, J., Raff, M., Roberts, K. & Walter, P. (2011). Molekularbiologie der Zelle (5. Auflage). Weinheim, Deutschland: WILEY-VCH Verlag
  3. Bourque, G., et al. Ten things you should know about transposable elements. Genome Biol 19, 199 (2018).
  4. Dawkins, R. (2010). Das egoistische Gen (Jubiläumsausgabe 2007). Heidelberg, Deutschland: Spektrum Akademischer Verlag
  5. Lane, N. & Martin, W. The energetics of genome complexity. Nature. 467, 929-934 (2010).
  6. Hancks, D.C., Kazazian, H.H. Roles for retrotransposon insertions in human disease. Mobile DNA 7, 9 (2016).
  7. H Pray, L. (2008) Transposons: The jumping genes. Nature Education 1(1):204. Quelle: https://www.nature.com/scitable/topicpage/transposons-the-jumping-genes-518/. Zuletzt aufgerufen am 04.01.2020.
  8. Moran, J. V., et al. Exon shuffling by L1 retrotransposition. Science 283, 1530–1534 (1999).
  9. Piacentini, L., Fanti, L., Specchia, V. et al. Transposons, environmental changes, and heritable induced phenotypic variability. Chromosoma 123, 345–354 (2014).

 


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